Französisches Protektorat
Überblick
Die Europäer - überwiegend Franzosen und Italiener, aber auch Malteser - stellten zum Ende der Kolonialzeit 1956 noch etwa 7 % der Gesamtbevölkerung. 1964 beschloß die Tunesische Nationalversammlung, alle ausländischen Grundbesitzer zu enteignen. Daraufhin verließ der größte Teil der bis dahin im Lande verbliebenen Europäer Tunesien. Ein Teil der Siedler war bereits in Tunesien geboren und um so schmerzlicher war der Verlust der Heimat. Heute liegt der Anteil der im Lande lebenden Europäer bei weniger als einem Prozent.
Geschichte der Kolonialzeit
Die Geschichte der Kolonialzeit ist sicherlich ein immer noch schwieriges Thema in Tunesien und bei den Nachkommen der einstigen Siedler. Auch heute noch gibt es zahlreiche Hinterlassenschaften aus dieser Zeit. Zum einen sind es viele Gebäude aus dieser Epoche, zum anderen ist es die gesamte Infrastruktur des Landes - u.a. der Straßenbau, der Eisenbahnbau, die Stadtplanung, das Gesundheitswesen - die von den Franzosen während ihrer 76-jährigen Herrschaft geplant, gebaut und eingerichtet wurden.
Intervention Frankreichs
1878 fällt die Entscheidung: Großbritannien und Deutschland treten ihre Ansprüche auf tunesisches Gebiet an Frankreich ab und werden anderweitig abgefunden. Grenzverletzungen zu Algerien durch aufständische Nomadenstämme und die Plünderung eines französischen Schiffes bieten den Franzosen den Vorwand für die Intervention. Am 12. April 1881 marschieren 32 000 französische Soldaten aus Algerien nach Tunesien ein. Der militärisch hoffnungslos unterlegene Bey muss am 12. Mai 1881 den Protektoratsvertrag (Bardo - Vertrag) trotz starkem Widerstands der zentraltunesischen Stämme und der Bevölkerung des Südens unterzeichnen.
Protektorat
Frankreich wird hierin als als "Schutzmacht" anerkannt. Der Bey bleibt offiziell tunesisches Staatsoberhaupt bis 1957, jedoch mit stark eingeschränkten Machtbefugnissen. Alle wichtigen Staatsposten unterstehen der französischen Kontrolle und werden mit französischen Beamten besetzt. Der Norden behält zwar seine traditionellen Sippen- und Stammesführer, der rebellische Süden jedoch untersteht einer Militärverwaltung. Zu den ersten Maßnahmen der Kolonialmacht zählt ab 1885 die Enteignung allen nicht registrierten Grundbesitzes (z.B. die Ländereien der Nomaden).
Enteignung
Diese Gebiete werden zu Staatsbesitz erklärt und den zahlreichen französischen und italienischen Siedlern zugeteilt. 1911 leben in Tunesien schon 46 000 Franzosen, 86 000 Italiener und 12 000 Malteser. Die Franzosen verbessern die Infrastruktur durch den Ausbau von Straßen, Häfen und der Eisenbahn, am Rande der Städte entstehen große Neubauviertel (Ville Nouvelle) nach französischem Vorbild, Bergwerke und Minen werden von französischen Konzernen betrieben, Klöster, Schulen und Universitäten werden gebaut und auf dem Land entstehen neue regionale Verwaltungs- und Marktzentren.
Erster Weltkrieg
Der Erste Weltkrieg (1914 - 1918) unterbricht die Kolonisierung. An der Westfront kämpfen 80 000 Tunesier auf der Seite der Franzosen, fast 11 000 fallen! Nach dem Krieg aber schreitet die Kolonisierung wieder kräftig voran und wiederum sind es hauptsächlich die französischen Zuwanderer, die davon profitieren. An Produktionsziffern und Straßenkilometern gemessen erlebt Tunesien nun einen gewaltigen Aufschwung, gleichzeitig entstehen aber enorme soziale Probleme. Die alteingesessenen Kleinbauern und Nomaden werden auf unergiebige Randgebiete wie die kargen Steppen- und Gebirgsregionen verdrängt.
Niedergang von Handwerk und Handel
All dies führt letztendlich zur Verarmung der tunesischen Landbevölkerung. Andere Bauern geraten durch überzogene Pacht- und Nutzungsverträge in die völlige Abhängigkeit der wenigen Großgrundbesitzer. Gleichzeitig bewirken billige Massenimporte den Niedergang von traditionellem Handwerk und Handel. Durch all diese Entwicklungen kommt es zu Landfluchten und dementsprechend wachsen die Slums der Städte. Die Protektoratszeit führt die Mehrheit der Tunesier in die Verelendung. Eine kleine Anzahl wohlhabender bzw. einflußreicher tunesischer Bürger genießt zwar gewisse Privilegien, die überwiegende Zahl der einfachen Landbevölkerung wird aber immer ärmer und entrechteter.
Unabhängigkeitsbewegung
Eine allgemeine Schulpflicht gibt es nicht. In den modernen Oberschulen, zu denen nur die einheimische Oberschicht Zugang hat, soll eine junge, von französischen Idealen geprägte Nachwuchselite herangebildet werden. Dies alles zusammen bildet den Nährboden für die tunesische Unabhängigkeitsbewegung, allmählich formiert sich eine organisierte Opposition. 1920 wurde die Destour-Partei gegründet, die für umfangreiche demokratische Reformen eintrat.
Neo Destour Partei
1934 gründete der Politiker Habib Bourguiba, der in der tunesischen Unabhängigkeitsbewegung eine bedeutende politische Rolle spielte, die Neo-Destur-Partei, die auch im Ausland Unterstützung fand. Tunesien näherte sich Schritt für Schritt der Unabhängigkeit. 1949 kehrte Bourguiba aus dem Exil zurück, in das er nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von den Franzosen verbannt worden war, und nahm verstärkt seine politischen Aktivitäten wieder auf.
Habib Bourguiba
Am 20. März 1956 wurde der Bardo-Vertrag von 1881 außer Kraft gesetzt und Tunesien erlangte seine Unabhängigkeit. Habib Bourguiba wurde mit überwätigender Mehrheit zum Staats- und Ministerpräsidenten gewählt. Ein Jahr später wird der Bey abgesetzt und die Republik ausgerufen. Das Verhältnis zu Frankreich verschlechterte sich drastisch, als 1964 die Nationalversammlung beschloß, alle ausländischen Grundbesitzer zu enteignen.
Geburtshaus
Bourguiba wurde wiederholt im Amt bestätigt bzw. 1975 zum Präsidenten auf Lebenszeit ernannt. Die im Land vorhandenen sozialen Spannungen und Generalstreiks legten sich erst, als 1981 eine Abkehr vom Einparteiensystem stattfand. Erst 1987 wurde der inzwischen 84-jährige Bourguiba abgesetzt. Sein Nachfolger war Zain al-Abidin Ben Ali, der auch im Oktober 1999 erneut mit 99,4% der Stimmen für eine weitere Amtszeit gewählt wurde.
Hinterlassenschaften
Was ist aus dieser Zeit erhalten geblieben?
Dieser Frage bin ich nachgegangen und auf viele interessante Bauten in Tunesien gestoßen, die leider heute immer mehr dem Verfall preisgegeben sind. Zum einen wurden die von den Tunesiern nach der Enteignung übernommenen Bauernhöfe zwar zuerst weiter bewohnt, aber später durch Neubauten in zweckmäßiger tunesischer Architektur ersetzt. Die ehemals französischen, italienischen oder maltesischen Hof- und Wirtschaftsgebäude wurden nun nicht mehr gebraucht und verfallen seit dieser Zeit.
Bahnhöfe
Allenfalls einige Wirtschaftsgebäude werden zum Abstellen von landwirtschaftlichen Geräten weiter genutzt. In der Umgebung von Tunis (Großraum Tunis) konnte ich kleinere Orte besichtigen, in denen die meisten Gebäude noch aus der Kolonialzeit stammten. In einigen Orten stehen sogar noch die Kirchen der Siedler wie z.B. in Zaghouan und Enfidha. Weiterhin sind fast alle Bahnhöfe, die die Franzosen während der Protektoratszeit errichtet hatten, noch in Betrieb b.z.w. die Bahnhofsbauten stehen noch und werden erhalten.
Friedhöfe
Auch die Friedhöfe der Siedler sind zum Teil noch erhalten und können besichtigt werden. Beispiele hierzu gibt es in Grombalia und Enfidha. Weiterhin sind die von den Franzosen errichteten Verwaltungsgebäude zu erwähnen, die heute anderen Zwecken dienen aber immer noch vom Charm der Zeit profitieren, in der sie errichtet wurden. Ich werde mich diesem Thema bei meinen nächsten Reisen nach Tunesien weiter widmen!
Kolonialzeit in Enfidha
Während der Kolonialzeit war z. B. der Ort Enfidaville (heute Enfidha) von französichen, italienischen und maltesischen Siedlern bewohnt. Die einstige Anbaufläche betrug 120 000 Hektar und war im Eigentum der Compagnie de l'E. Diese Gesellschaft betrieb hier u.a. erfolgreich den Anbau von Wein. Heute gehört das Gebiet zu einer Staatsdomäne, die etwa 50 000 Hektar groß ist. Zu den Besichtigungsmöglichkeiten in Enfidha gehört der Wochenmarkt, ein alter Friedhof aus der Kolonialzeit, eine englische Kriegsgräberstätte und die ehemalige katholische Kirche, die in ein kleines Archäologisches Museum umgewandelt wurde.
Weitere Informationen zur kleinen Stadt Enfidha in Nordtunesien finden Sie hier.....!