Ghar El Melh
Überblick
Auf meinen Fahrten von Tunis nach Bizerté bin ich oft auf der Autobahn A 4 an einem Hinweisschild vorbeigekommen, das auf die Historie dieses Ortes aufmerksam machte. Im April 2014 war es dann soweit, nach der dritten Besichtigung von Utica bin ich weiter nach Ghar El Melh (arabisch: Ghar al Milh) gefahren. Ghar El Melh - auch bekannt als Porto Farina - ist eine Küstenstadt und ein ehemaliger Hafen im Nordosten von Tunesien. Im Jahre 1638 wurde der Hafen als tunesische Militärbasis unter der Leitung des aus Italien stammenden und zum Islam konvertierten Piratenkapitäns Usta Mourad gegründet, dem späteren Dey von Tunis. Die Stadt war einst eine berüchtigte und wichtige Basis für Piraten, bis sie vom englischen Flottenadmiral Sir Robert Blake im Jahre 1655 zerstört wurde. Leider bauten diese den Hafen und die Verteidigungsanlagen sehr bald wieder auf.
Ghar El Melh
Die neuen Herren waren nun britische und maltesische Piraten. Im Jahre 1834 explodierte ein riesiges Arsenal an Waffen und Pulvervorräten, das einem maltesischen Piraten gehörte und zerstörte Teile der Stadt Ghar El Melh. Der letzte algerische Bey von Constantin, Ahmed Bey, beschloss, gegen diese Piraterie vorzugehen und versuchte, den Hafen einem rechtmäßigen Handel zuzuführen. Er investierte in neue Hafenanlagen und neue Festungen, aber die Mündung des Medjerda begann, den offenen Zugang zum Meer zu verlanden. Das gleiche passierte übrigens 1700 Jahre zuvor mit der Stadt Utica, wo das Schwemmland dieses Flusses die Stadt vom Meer trennte.
Heute ist Ghar El Melh ein kleines Fischer- und Bauerndorf. Der Ort liegt im nördlichen Teil der Lagune von Ghar El Melh, die wegen ihres Fischreichtums geschätzt wird. Der heutige modernere Fischerhafen mit direktem Zugang zum Mittelmeer liegt etwa 8 Kilometer südöstlich von Ghar El Melh. Dahinter schließt sich der Strand von Sidi Ali El Mekki an, der etwa eine Länge von 5 Kilometern besitzt. Am nördlichen Ende des Strandes beginnt der gleichnamige Ort, der nach einem Marabout an den Berghängen über dem Dorf benannt worden ist. Das Gebiet von Ghar El Melh ist bekannt für seinen Reichtum an kulturellen und archäologischen Schätzen.
Das kann man u.a. noch heute erkennen durch einige Hinterlassenschaften der Andalusier, die sich hier im 17. Jahrhundert niederließen. Deren landwirtschaftliche Techniken sind heute noch in der Peripherie des Ortes im Terrassenanbau an den Abhängen des Gebirgszuges erkennbar. Andere historische Denkmäler wie z.B. die drei großen und in den späten 90er Jahren des 20. Jahrhunderts renovierten militärischen Festungen dokumentieren dies auf eine besondere Art. Die heutige Präsenz der Lagune gibt der Siedlung von Ghar El Melh ein besonderes Gewicht. Seit der Antike ist die Bevölkerung von Ghar al Melh fast ausschließlich in der Landwirtschaft und im Fischereiwesen beschäftigt. Der Name des Ortes bedeutet "Salzgrotte" und hier leben etwa 5 000 Menschen. Ghar El Melh gehört zum Gouvernorate Bizerté und ist der Hauptort einer Delegation von 18 525 Einwohnern [1], von denen mehr als die Hälfte in ländlichen Gebieten leben. Die Gemeinde verfügt über eine insgesamt sieben Kilometer lange Küste, die sich vom Kap Sidi Ali El Mekki bis zum Port Kalaat el-Andalous erstreckt.
Geschichte
Die Geschichte dieser Stadt und einiger anderer Städte in Nordtunesien blickt auf eine lange Zeitspanne zurück. Einige der Städte und Dörfer in der Umgebung sind antiken Ursprungs, wie z.B. Bizerte (12. Jahrhundert vor Christus) und Ghar el-Melh (4. Jahrhundert v. Chr.). Jüngeren Datums sind die andalusischen Städte und Dörfer wie Testour und Medjez el Bab. Auch hier in Ghar El Melh ließen sich Andalusier nieder, die nach ihrer Flucht aus Spanien bis in diese Gebiete auf dem nördlichen afrikanischen Kontinent vordrangen. Es begann im 17. Jahrhundert, als Einwanderer aus Andalusien hier eine Siedlung gründeten. Das dafür benötigte Land erhielten sie vom Befehlshaber des türkischen Staates, Othman Dey, der in Tunis residierte.
Kara Osman oder Othman Dey war seit 1593 Dey von Tunis bis zu seinem Tode im Jahre 1610. 1574 kam er mit anderen türkischen Soldaten unter dem Befehl von Sinan Pascha nach Tunis. Ihr Ziel war es, die spanische Streitmacht in Tunis aus dem Land zu vertreiben. Im Jahr 1535 war Kaiser Karl V. mit einem gewaltigen Heer gegen Tunis gezogen und konnte die Stadt noch im selben Jahr einnehmen. Teile der Truppen von Kaiser Karl V. landeten damals auch in Ghar El Melh und zogen von hier weiter gegen Tunis, während der Flottenverband des Kaisers die Stadt von der Seeseite her angriff. Nach dem Sieg errichtete er ein spanisches Protektorat, das bis 1574 Bestand hatte. Die Truppen der Osmanen unter Sinan Pascha brachten die Stadt Tunis 1574 nach dem Sieg über die Spanier wieder unter türkische Kontrolle.
Nach 1591 waren die türkischen Gouverneure (Deys und Beys) relativ unabhängig, und die Stadt wuchs als ein Zentrum der Piraterie und des Handels. 1593 wurde er Militärkommandant von Tunis und bereits 1598 übertrug ihm der türkische Pascha die Befehlsgewalt über ganz Tunesien. Er befriedete das Land, war mit der Gründung einer schwer bewaffneten Flotte beschäftigt und verstärkte die Grenzen mit einem starken Netzwerk von Festungen zur Überwachung der Küsten des Landes. Unter Othman Dey kamen um 1609 zwischen 60 000 bis 80 000 Andalusier in mehreren großen Flüchlingswellen ins Land, die aus Spanien vertrieben wurden. Mit ihnen kamen auch viele Juden nach Tunesien, die sich hier als Händler niederließen.
Er verteilte die Flüchtlinge in seinem Herrschaftsbereich und so kam es u.a. zu Ansiedlungen in Zaghouan, in Testour, in Soliman (Cap Bon), in Turki (Cap Bon), in Grombalia (Cap Bon), Medjez El-Bab und in Tebourba. Die Flüchtlinge brachten neues Gedankengut und zahlreiche handwerkliche Fertigkeiten mit ins Land, was zum allgemeinen Wohlstand des von Othman Dey verwalteten türkischen Territoriums beitrug. Die Andalusier bauten ihre eigenen Viertel an der Seite oder auf Plätzen alter Städte auf und errichteten Gebäude in der ihnen eigenen spezifischen Architektur, die stark an das Land erinnerte, das sie gerade verlassen mussten. Bis heute ist der andalusische Einfluss in der Architektur einiger tunesischer Städte Nordtunesiens erhalten geblieben. Auch in Ghar El Melh sind Gebäude vorhanden, die diesem Einfluss unterliegen.
Die aus Spanien geflüchteten Andalusier, von denen einige aus Cordoba, aus Sevilla und Toledo stammten, brachten sich effektiv in die Entwicklung des Landes ein, was den wirtschaftlichen Wohlstand sicherte. Der Ausbau der landwirtschaftlichen Infrastruktur des Landes im Norden des heutigen Tunesien und die Entwicklung des Kunsthandwerks durch die Andalusier brachten dem Land neue Impulse. Sie entwickelten neue Systeme zur Bewässerung des Landes, brachten neue Pflanzkulturen ins Land und sie errichteten Straßen und Brücken, die auf ihre Transportmittel und den damaligen Verkehrsfluss ausgerichtet waren. In Bezug auf das Handwerk verbesserten die Andalusier ihre landwirtschaftlichen Geräte und führten neue Webtechniken ein. Von außerordentlichem Reiz sind die architektonischen Beispiele der Moscheen und Minarette, die sie in ihrer neuen Heimat errichteten und die einen starken Anklang an ihre alte Heimat im maurischen Spanien besitzen.
Zweiter Weltkrieg
Auch der Zweite Weltkrieg machte vor Ghar El Melh, damals besser bekannt als Porto Farina, nicht halt. Porto Farina war damals ein kleines Fischerdorf zwischen Bizerté und Tunis. Auf dem nebenstehenden Foto erkennt man die zurückgelassene Militärausrüstung des deutschen Afrikacorps. In den letzten Kriegstagen, im Mai 1943, warteten Teile der 10. und 15. Panzerdivision auf eine Evakuierung nach Sizilien. Sie waren in einer derartig ausweglosen Lage, da es hier in dieser Abgeschiedenheit kein Vor und Zurück mehr gab. Einzig die Hoffnung auf einen Entsatz nach Italien hielt diese versprengten Truppen am Leben. Der größte Teil der militärischen Ausrüstung musste hier zurückgelassen werden.
Sehenswürdigkeiten
Hier in Ghar El Melh gibt es gleich drei sehenswerte Festungen, von denen eine seit dem 25. April 2013 ein Museum (Dar El Bhira) beinhaltet, dessen Thema die Feuchtgebiete am Lake Ghar El Melh sind. Bei dieser Festung, die am Ausgang zum alten Hafen zu finden ist, handelt es sich um die Festung Borj El Loutani, die auch Fort de Sidi Ali al-Makki genannt wird. Das Museum besteht aus zwei großen Ausstellungsräumen: Die erste bietet den Besuchern eine Vielzahl von Informationen über die Vielfalt der tunesischen Feuchtgebiete im Allgemeinen. Der zweite Raum stellt Informationen zur Lagune von Ghar El Melh zur Verfügung. Die Zweite Festung befindet sich etwa in der Mitte des Ortes etwas oberhalb des Hafens und heißt Borj El Wistani und ist die älteste der drei Festungen. Diese Anlage wurde im Jahre 2007 restauriert und ist auch unter dem Namen Le Fort Median bekannt.
Die dritte Festung - Borj Lazarit - befindet sich am Ortseingang von Ghar El Melh und ist gleichzeitig auch das interessanteste Bauwerk an diesem Ort. Die Anlage wurde hervorragend restauriert und bietet zahlreiche Innenansichten eines Forts aus dem 17. Jahrhundert. In diesem Gebäude ist auch eine Moschee integriert, die nach maurischem Vorbild errichtet wurde. Von den Zinnen des Bauwerks bietet sich ein atemberaubender Blick auf die Lagune und darüber hinaus bis zum Mittelmeer. Weiterhin ist der alte Hafen einen Besuch wert, mit seinen Kanonen und alten Bootshäusern und der etwa 800 Meter langen Hafenmauer mit Wehrgängen, Türmen und Treppenaufgängen.
Auch ein Rundgang durch die kleine Stadt, bekannt auch als Arsenal der Beys von Tunis, mit vielen alten Häusern, einem Marabout, mehreren Moscheen und einem kleinen andalusischen Viertel ist interessant. Bereits im Jahr 1840 hatten sich hier eine Gruppe Malteser, Italiener und Franzosen angesiedelt, die hier ihren Geschäften nachgingen. Eine Besonderheit in Ghar El Melh ist der tunnelartige Durchgang inmitten der Stadt, wo sich selbst Busse einen Weg suchen müssen und wo man viele Geschäfte findet.
Quellenhinweise:
1.: Die Zahlen zur Bevölkerungsstruktur des Gouvernorats Bizerté stammen vom Institut Nationale de la Statistique Tunisie.